Frei und unabhängig

Davon, dass man hier wirklich so leben kann wie es einem am besten passt, hatte ich mich schon einmal ausgelassen. Für die ausgesprochene Gelassenheit der Australier sehe ich hier die Quelle. Jeder kann so leben, wie er möchte. Die gesellschaftlichen Normen sind längst nicht so eng wie bei uns und Platz hat man auch. Aussteiger aus dem System haben es schwer bei uns oder gelten als Sonderlinge. Aber muss man tatsächlich Geld scheffeln und Dinge kaufen, die man eigentlich gar nicht braucht? Wie groß muss denn mein Haus oder meine Wohnung wirklich sein? Wozu braucht man mehr als ein Auto?

Neulich hat Win von French Island erzählt. Eine Insel mit zwei Fährverbindungen zum Festland, ganz in der Nähe von Melbourne. Die Großstadt ist gerade mal 60 km entfernt. Einer seiner Cousins lebt dort. Wir hatten schon mehrmals darüber gesprochen, dorthin zu fahren, aber irgendwie hat es nie geklappt.

Das Besondere an der Insel ist, dass dort das Rechtssystem und auch das Steuersystem von Australien nicht gelten. Wer dort lebt muss sich also nicht um Verkehrsregeln kümmern oder Steuern zahlen, kein Waffengesetz, keine Abfallordnung, keine Verwaltung, einfach nichts. Alles so frei wie zu Urzeiten. Aber dafür gibt es auch keine Elektrizität, Müllabfuhr oder Wasserversorgung. Alles muss man selber produzieren bzw. organisieren. Es gibt eine Grundschule und einen kleinen Laden. Autos sind nicht registriert, Kinder können alleine mit dem Auto zur Schule fahren, sobald sie groß genug für das Lenkrad sind.

Wins Cousin Paul hat dort ein Grundstück mit 5 Kilometern Strand. Als Win ihn mal besucht hat, wollte er ein Auto von ihm borgen. Etliche Autos standen auf dem Grundstück und Paul meinte nur, „Hier ist eine Kiste mit Autoschlüsseln, hilf dir selbst.“ Das typische Verhältnis deutscher Autobesitzer zu ihrem Fahrzeug muss man mal dagegen halten. Selbst ausländische Reiseführer warnen Touristen davor, sich in Deutschland gegen ein fremdes Auto zu lehnen.

Neulich habe ich Beekes Bruder Ilja kennen gelernt. Auch ein Aussteiger wenn man so will.

Ilja in seiner mobilen Werkstatt

Beekes Vater und auch die beiden Brüder sind Gegenbauer. Der Vater ist sogar berühmt für seine hervorragenden Instrumente. In allen großen Orchestern Australiens werden seine Instrumente gespielt und bei Tests hat man herausgefunden, dass sie sich klanglich nicht unterscheiden von den wertvollen und berühmten.
Ilja hatte erst ein Geschäft in Brisbane, das er zusammen mit seiner Frau betreiben wollte. Dann kamen die Kinder und es wurde schwieriger, alles zu managen. Irgendwann kam dann der Wunsch, die teure Wohnung und später auch das Geschäft aufzugeben und ein ungebundeneres Leben zu führen. Die Familie hat nun in einer Art Kommune einen Platz gefunden. Mehrere Leute haben zusammen ein großes Grundstück gekauft, die Landschaft ist wunderschön, ein klarer Bach sorgt für Wasser, Energie gibt es über Solarzellen. Die Familienwohnung ist ein ausgedienter Bus, der in dieser unberührten Gegend seinen Stammplatz hat. Damit der Broterwerb nicht scheitert, hat Ilja einen alten Truck gekauft und zu einer mobilen Werkstatt umgebaut. So kann er auch mal für einige Zeit dort arbeiten, wo er gerade gebraucht wird. Das Wichtigste aber ist die Unabhängigkeit. Keine Miete, keine ständig steigenden Kosten für Energie oder Wasser. Was will man mehr?

Allerdings muss ich auch einräumen, dass man in den meisten Gegenden Australiens keine Heizung braucht. Das erleichtert das unabhängige Nomadenleben.

Eine Geigenbauer-Werkstatt im Truck: alles hat seinen Platz, die Laderampe wird nach Bedarf zur Terasse

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