Heavens Waiting Hall

Heavens Waiting Hall, so wird Victor harbor etwas boshaft genannt. Der Grund leuchtet ein, denn überwiegend ältere Leute lassen sich hier nieder, genießen den Ruhestand, werden Pflegefall und sterben schließlich. Tatsächlich ist das Straßenbild geprägt von Dienstleistungen rund um die Pflege von älteren Leuten, wie Häusliche Krankenpflege, Hilfe im Haushalt, Fahrdienste, Physiotherapien, Geschäfte, die auf Gehhilfen, Hörgeräte oder elektrische Rollstühle spezialisiert sind. Wer rüstig genug ist, arbeitet ehrenamlich in einem der Opportunity Shops oder spielt Bridge, oder macht beides.

Freie Landschaft zum Durchatmen, Victor Harbor im Hintergrund, rechts der Bluff

Hintergrund dessen ist, dass ein Haus in der benachbarten Großstadt Adelaide mit ihren ca. 1 Mio Einwohnern inzwischen drei Mal so viel kostet wie in Victor Harbor. Wer also aus dem Berufsleben ausscheidet, der verkauft clevererweise sein teures Anwesen in der Großstadt und kauft sich hier etwas, was kleiner und altersgerecht ist. Mit der Preisdifferenz zwischen dem teuren verkauftem Haus in Adelaide und dem preiswerten neuem Haus in Victor Harbor kann man dann eine ganze Weile lang gut leben. Ganze Wohnanlagen wurden nur für ältere Leute gebaut. Diese sind meistens in einem abgegrenzten Areal, wie in einem großen Park. Die Häuser sind kleiner als üblich und stehen dicht beieinander. Dennoch hat jedes kleines Häuschen auch einen minimalen Garten, groß genug für eine Sitzecke im Freien. Die Vorgärten werden vom Betreiber der Wohnanlage gepflegt, Straßen sind asphaltiert und alles ist so eingerichtet, dass auch langsame Fußgänger nichts zu befürchten hätten, würden sie tatsächlich zu Fuß gehen. Abgesehen von der Größe der Häuser gibt es einen weiteren großen Unterschied zu den üblichen Häusern: es gibt nur eine Garage anstatt der Doppelgaragen.

In einer Wohnanlage für Senioren

Was machen wir nun hier?

Wir versuchen uns zu sozialisieren, sind mehrmals die Woche in der Bibliothek und gehen Fischen. Win hat seine Philosophische Plauderrunde gefunden. Sogar Bridge haben wir gespielt und uns dabei unterschiedlichen Gruppen zugesellt. Bridge ist ähnlich wie Skat, nur noch komplizier. Ich bin als Neuling noch lange nicht in Tiefen vorgedrungen und habe auch keine Ambitionen. Ich bin offensichtlich auch noch nicht alt genug dafür. In den Gruppen fand ich es ziemlich langweilig. Da waren verbissene alte Leute, deren Leben offensichtlich davon abhängt, zu gewinnen — natürlich gab es auch sehr nette unter ihnen. Kurzum für mich ist das nix.

Ab und an fahren wir nach Adelaide, das sind etwa 60 Kilometer hin und ebensoviele zurück. Freunde und Familie von Win treffen wir dort gelegentlich oder gehen in die Galerien oder Museen.

Hier im Süden Australiens, im Bundesstaat South Australia, ist da Leben ganz anders als in der Farmergegend von Queensland. Während man in Queensland ohne Weiteres im Schlafanzug einkaufen gehen kann (niemand würde das bemerken oder gar daran Anstoß nehmen), würde ich das hier niemals tun. Die Leute sind wesentlich anspruchsvoller. Das sieht man sogar in den Op-Shops. Alles ist irgendwie nobler und chicker. Die Häuser sehen auch gepflegter aus und haben einen wesentlich besseren Standard als in Queensland. Neu gebaute Häuser haben fast ausnahmslos zwei Garagen, alles ist großzügig und hell, eben modern. Auf der anderen Seite ist es aber auch sehr uniform. Man sieht selten ein individuell gestaltetes Haus und genau genommen tritt dabei so eine gewisse Langweiligkeit ein.

Morgen gehe ich mit einem Schafscheerer zu einer Farm mit Merinoschafen. Ich möchte sehen, wie geschoren wird und ich hoffe, dass ich dort Rohwolle kaufen kann. Ich bin ganz versessen darauf, meine eigene Wolle zu waschen, zu färben und dann natürlich auch was daraus zu machen. Abends treffen wir uns mit Mnem, die mir zeigen will, wie man mit einem Spinnrad Wolle spinnt. Sie sagte schon, dass sie mir eins borgen würde. Mal sehen. Auf jeden Fall freue ich mich darauf.

So weit so gut. Unsere Tage hier sind gezählt. Wins Haus in Queensland wird sich nicht so schnell verkaufen lassen und so nötigt uns die ökonomische Belastung, wieder nach Queensland zurück zu gehen. Dort werden wir dann neue Pläne machen.

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