Warum sind die Aussies so entspannt?

Die Frage beschäftigt mich seit ich das wahrgenommen habe. Da muss etwas sein was wir nicht kennen. Diese Gelassenheit ist verdächtig, deshalb versuche ich, der Sache mal auf den Grund zu gehen.

Wir Deutsche werden hier gern mit den Japanern verglichen, die ja bekanntlich so pflichtbewusst sind, dass sie sogar am Arbeitsplatz übernachten und freiwillig auf Urlaub verzichten. Ganz so beflissen sind wir nicht, aber wir fühlen uns enorm wichtig mit allem was wir tun und zweifeln niemals daran, dass wir es tatsächlich sind. Hier kann man beobachten, dass es auch anders geht. Aber was genau ist das? Ich frage nun nach und nach alle Leute, mit denen ich ins Gespräch komme, was sie darüber denken. Wahrscheinlich muss ich das dann immer ergänzen, wenn was Neues dazu kommt.

Bisher gab es folgende Meinungen:

1. Das Sozialsystem ist so gut, man muss sich nicht so große Sorgen machen, dass man auf der Strecke bleibt. In der Tat sind die Sozialleistungen verbunden mit der Auflage, sich auf Jobs zu bewerben, sofern es keinen ernsten Hinderungsgrund gibt. Wer hier lebt, kennt sicher auch Tricks, das zu umgehen. Wer keinen Job findet hat immerhin so viel Geld, dass er sich ein Auto leisten kann und auch noch Geld genug hat, um das Haus abzuzahlen.

2. Das Gesundheitssystem ist kostenlos bis zur Einkommensgrenze des durschnittlichen Verdienstes. Wo genau die Grenze ist, habe ich noch nicht rausgekriegt, aber es ist auf jeden Fall oberhalb von 30.000 Dollar. Jedes Medikament, egal wie teuer, wird zum Einheitspreis von 4 Dollar (?) abgegeben.

3. Wer Arbeit sucht, findet auch welche. Die Arbeitslosenquote liegt dennoch bei etwa 5 Prozent, was aber vermutlich durch Punkt 1 beeinflusst wird. Win meint dazu, dass manche Leute wirklich fürchten, dass sie den Job auch kriegen, für den sie sich bewerben mussten. Von Beeke weiß ich, dass ihr Bruder, ein Geigenbauer mit eigenem Geschäft, sich ein paar Jahre Auszeit zugunsten seiner Familie genehmigt. Er ist sicher, dass er weiter machen kann oder einen Job findet, wenn das Geld knapp wird. Dieser Druck, alles zu tun, um den Job zu behalten, der ist hier nicht so ausgeprägt wie bei uns.

4. Bildung steht hoch im Kurs und ist kostenlos für jedermann. Studiengebühren gibt es zwar inzwischen auch, aber eine Rückzahlung wird nur gefordert, wenn das Einkommen überdurchschnittlich ist.

5. Australien hat keine Umweltverschmutzung. Wie auch, bei diesem riesigen Land mit nur 25 Mio. Einwohnern. Ich sehe allerdings auch, wie lax man hier immer noch mit Plastikverpackungen und Plastiktüten umgeht. Und was ist mit dem Überseehafen, der für den Kohletransport nach Asien im Great Barrier Reef gebaut wird? Umweltsünden finde ich hier auch. Die vielen überdimensionierten Autos, kein öffentlicher Nahverkehr, die riesigen Spritfresser werden auch benutzt, um die Kinder zur Schule zu bringen. Aber noch ist die Luft ist rein, das Wasser glasklar.

6. Die Sonne scheint immer, oder fast immer. Es ist warm, man braucht keine Heizung und bei geschickter Bauweise kann man auch auf eine Klimaanlage verzichten. Es gibt Leute, die in ihrem ganzen Leben weder feste Schuhe noch Pullover besessen haben, weil sie das einfach nie brauchten.

7. Die Wirtschaft ist stark und gesund, erlaubt die Punkte 1, 2 und 4. Das Land hat Rohstoffe, Edelmetalle, Edelsteine in Hülle und Fülle. Die Einkommen sind entsprechend hoch. Der Mindestlohn liegt bei 18 Dollar, selbst für Tätigkeiten, die keine großen Ansprüche stellen.

8. Der Anspruch auf Rente ist unabhängig davon, ob man jemals gearbeitet hat. Jedem Australier steht die Rente in Höhe der üblichen Sozialleistungen zu, sofern er kein Barvermögen besitzt. Selbst dort liegt die Grenze bei über 200.000 Doller. Also wer weniger hat, hat uneingeschränkten Anspruch auf Rente. Abgesehen davon zahlt man hier auch in eine Rentenkasse ein, wenn man Geld verdient. Das ist Pflicht und beträgt etwa 9 % vom Bruttoeinkommen, also etwa so wie bei uns. Der Unterschied ist allerdings der, dass man a) selber entscheiden kann, was man mit dem Geld machen möchte und b) das Geld nach dem Tod des Rentenempfängers nicht verschwindet. Man kann sich für eine monatliche Zahlung entscheiden, bis das Geld aufgebraucht ist oder aber sich alles auszahlen lassen und selber nach belieben investieren, anlegen oder was auch immer. Selbst wenn man alles in den Sand setzt, hat man immer noch Anspruch auf die normale Rente. Wer das Zeitliche segnet, hinterlässt somit im Normalfall ein Vermögen für seine Erben. Meistens ist das nicht nur Geld, sondern auch Wohneigentum.

9. Australier fühlen sich nirgendwo auf der Welt alleingelassen. Sofern es im Ausland eine Boschaft gibt, kann man sicher sein, dass man im Notfall Unterstützung hat. Die Regierung steht allgemein in dem Ruf, im Sinne der Wähler zu handeln. Korruption kann sich hier keiner vorstellen. Die Entscheidungen von Behörden sind nicht immer die klügsten, aber auf keinen Fall geprägt von finanziellen Interessen der Entscheider.

Soweit das Ergebnis meiner Umfrage.

Wir sitzen nun im Zug nach Brisbane, Internet im Zug ist normal heutzutage. Abends fliegen wir von Brisbane nach Auckland auf der Nordinsel von Neuseeland. Dort müssen wir allerdings warten, bis früh um 6 Uhr der Mietwagen abgeholt werden kann.

 

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